Fleisch Magazin 59, Feinde

Selig sind die Friedfertigen

Warum Menschen, die sich keine Feinde machen, eben doch die besseren Menschen sind.

Ein Mensch ohne Feinde, das muss ein Lulu sein. Oder erfolgreicher Skifahrer, könnte man hierzulande ergänzen. Aber von denen mal abgesehen vermute ich, dass die Lulu-These in unserer Gesellschaft, vor allem unter den Herren der Schöpfung, mehrheitsfähig ist. Das Männerbild prägen schließlich immer noch die Macher und Macher machen keine Kompromisse. Wo gehobelt wird, fallen auch Späne usw. Der Mensch ohne Feinde, so wird hingegen angenommen, nimmt sich nie, was er will und geht stets den Weg des geringsten Widerstands. Sagt mal ja und mal nein, je nachdem, was gerade besser passt. Weicht allen Konflikten aus. Und ist eben ein Schwächling oder noch schlimmer: „nett“.

Ich muss zugeben, Menschen, die so grundlos nett sind, lösen auch bei mir eine gewisse Skepsis aus. Vielleicht lebe ich deshalb seit nunmehr zehn Jahren in Wien, der feindseligsten, pardon, lebenswertesten Stadt der Welt; beim Grant bin ich einfach besser anschlussfähig. Bei den Superfreundlichen hingegen komme ich nicht umhin, automatisch Abgründe zu vermuten. Die verstecken doch bestimmt was hinter ihrem Dauerlächeln. Nicht umsonst gibt es im Englischen den Ausdruck der Frenemies. Die Grundannahme: Ein Mensch, der sich keine Feinde macht, könne nur vordergründig nett sein. Die Abgründe liegen im Verborgenen. Aber ist das so?

Ein Bekannter aus dem Agenturumfeld hat mir mal erzählt, er suche sich bei wichtigen Terminen in der Runde immer einen Feind aus. Die Wahl treffe er freilich aus den banalsten Gründen, beispielsweise, weil die betreffende Person das IPad mit dem Mittel- und nicht mit dem Zeigefinger bediene. Es gehe nur darum, einen Gegenpol im Raum zu verorten, dann sei er nicht so sehr auf sich fokussiert und könne freier präsentieren. Ein „stell dir das Publikum nackt vor“ im New Work-Zeitalter, wenn man so will.

Darüber musste ich lange nachdenken, vielleicht zu lange. Die Lulu-These wankte ohnehin schon, nun sah ich zudem meine Grundannahme in Frage gestellt. Denn wenn mein Bekannter mir seinen Präsentationstrick auch souverän, ja fast gönnerhaft erzählte – entblößte er, der Macher, damit nicht vor allem seine eigene Unsicherheit und den Unwillen, sich dieser Unsicherheit zu stellen? Diente ihm der Feind nicht nur als Sicherheitsnetz für eigene Ängste, als Vehikel, um den fragilen Selbstwert zu schützen? Und könnte man nicht sagen, dass der mit der Feindseligkeit verwandte Grant ebenfalls nur das Ziel verfolgt, einer eventuellen Abwertung zuvorzukommen?

Der Mensch ohne Feinde mag zwar Konflikte mit anderen scheuen – der Mensch, der sich Feinbilder schafft, aber scheut Konflikte mit sich selbst, könnte man schlussfolgern. Was ein Paradigmenwechsel so alles anrichtet. Aber wen wundert’s? Wenn man den Spiegel vorgehalten bekommt, ist es dann nicht einfacher den Spiegel zum Schuldigen zu erklären, als sich mit der Fratze zu beschäftigen, die einem entgegen schaut? Oder anders: Feinde hat man nicht, man macht sie. In der Pubertät die Eltern, in der Schule die Lehrer, in der Arbeit die Chefs.

Überhaupt die Chefs: Man sagt, an der Spitze werde es einsam und meint, weil man einsame Entscheidungen treffen oder über Leichen gehen muss. Aber was, wenn die Einsamkeit in Wirklichkeit von den Mitarbeiten herrührt, die den Chef (wie mein Bekannter) als Gegenpol benutzen, um der Gruppe Identität zu stiften? Über Abgrenzung eine Pseudo-Stärke mobilisieren, anstatt selber Verantwortung zu übernehmen. Was wäre ich nur ohne meinen liebsten Feind.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich halte es für eine hohe Kunst, sich maßlos über Kleinigkeiten empören zu können.

Ich rege mich beispielsweise ausgesprochen gerne über mich selber auf. Gründe gibt es genug. Unter anderem scheine ich die Fähigkeit zu besitzen, mich – trotz hoher Erfahrungswerte – regelmäßig mit Essen anzupatzen. Hornochse, schimpfe ich dann, oder Tölpel. Grantln hat ja durchaus etwas Befreiendes. Aber jedes Mal, wenn mir wieder Soße aufs Hemd tröpfelt, den Koch oder die Köchin dafür verantwortlich machen? Das muss doch anders gehen. 

Vielleicht braucht der Mensch, der sich keine Feinde macht, schlicht ein Rebranding. Heutzutage wird doch alles von der Marke aus gedacht, die Bim, das Müsli, der Mensch. Klar, dass der Feindlose da schlecht wegkommt. Der redet halt nicht gerne über sich und jeden Tag drei Selfies wird er auf seinen Social Media-Kanälen auch nicht veröffentlichen. Also übernehmen wir das an dieser Stelle, streichen die Konfliktscheue aus dem Markenkern und schreiben Kompromissbereitschaft hinein.  

Denn der Mensch, der uns hier vorschwebt, der – und das ist jetzt nicht ganz unwichtig – schreckt eben nicht davor zurück, zum Feind erklärt zu werden. Der zieht sich nicht in seinen harmoniebedürftigen Kokon zurück, wenn es ihm zu ungemütlich wird. Der schlägt den Chefposten nicht aus, weil er Bammel davor hat, von seinen Mitarbeitern als Projektionsfläche benutzt zu werden. Der geht nicht in die Abwertung, wenn ihm eine andere Meinung nicht passt. Der stellt das Ego nicht voran, sondern schafft einen Kompromiss zwischen sich und dem Gegenüber.

Und wenn man mit diesem Menschen auf einen Spritzer geht (falls das jemals wieder möglich sein sollte) und dann am fortgeschrittenen Abend zum Thema dieses Textes kommt, wird er oder sie sagen: Naja, schon möglich, dass man mich zum Feindbild erklärt hat, aber Feinde? Nein, Feinde habe ich keine. Ich habe halt nur zu oft die Wahrheit gesagt.

Ja und würde das etwa nach einem Lulu klingen?